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Gedanken aus Indien

Während ich durch die Straßen der Altstadt von Delhi in Indien spaziere, stelle ich viele Themen in Frage, die mir beruflich und privat in Europa sehr wichtig erscheinen. Eine davon lautet: Ist „Embodied Communication“ wirklich ein relevantes Thema? Ca. 20 Millionen Menschen versuchen hier in Delhi auf engstem Raum und auf vielfältigste Art und Weise ihr Leben zu meistern. Ein Leben in größter Armut am Straßenrand zusammen mit Kühen und Hunden oder ein Lebensstil in solider und sogar luxuriöser Umgebung wie wir es in Europa kennen - all das und noch viel mehr gibt es hier in Indien als alltägliche Lebensumstände und Überlebensherausforderung. Auf der Suche nach einem Geschäft, in dem wir Wasser kaufen können, geraten wir in eine Sackgasse. Es ist keine wirkliche Straße. Ein Weg aus Schutt und Erde neben dem die Menschen in ganz primitiven Slum-Behausungen leben. Ein kleines Mädchen sitzt allein auf einer Schwelle und schaut uns mit großen dunklen Augen an. Seine Händchen hat es auf die Knie gelegt. Es ist etwa so alt wie meine 2-jährige Enkelin in Salzburg. Seine Augen und sein kleiner halbnackter dünner Körper sind uns einfach nur zugewandt. Ich spüre wie mein Herz heftig schneller pocht, meine Füße wollen nicht mehr weitergehen und verlangsamen den Schritt, ein Kloß im Hals lässt mich verstummen. Jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, spüre ich wieder die Wirkung, die dieses Mädchen auf mich hatte. Wir kehren um. Zeitverzögert stell ich verbal formulierte Fragen: „Wer beschützt dieses Kind und wer schenkt ihm Liebe? Wie wird sie als erwachsene Frau ihr Leben gestalten können?“ Das Mädchen hat kein Wort gesagt. Ich hätte es mit Worten auch nicht „verstehen“ können. Es hat uns nur ganz ruhig beobachtet und doch so viele Fragen in mir aufgerufen.

Am Abend tauschen wir uns über die Eindrücke des Tages aus und ich erwähne auch „DAS kleine Mädchen“. Markus weiß sofort, von welchem Mädchen ich spreche. Wir hatten tagsüber viele Männer, Frauen und unzählige Kinder auf den Straßen der Megapolis Delhi gesehen. Unendlich viele Menschen hatten uns beobachtet und versucht mit uns Kontakt aufzunehmen. Doch nur die Augen und die Körperhaltung von diesem einen kleinen Mädchen haben uns unabhängig voneinander „angesprochen“ und berührt. Was ich da beschreibe ist ein Prozess, der ständig in jedem von uns abläuft. Unser Körper reagiert mit nachweisbaren körperlichen Reaktionen auf das, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen und bewertet und interpretiert das Wahrgenommene. Wenn im Büro wieder eine neue Geschäftsordnung den Arbeitsalltag komplizierter macht, spürt so manche/r Mitarbeiter*in, wie das Blut in den Adern zu wallen beginnt. Oder - wer oft auf der Bühne steht - kennt das auch zu gut: Das Herz pocht bis zum Hals, das rationale Denken wird stillgelegt und vieles andere im Körper „spricht“ eine sehr kraftvolle „Sprache“. Auch wenn dieser Körperversteh-Prozess nicht wahrgenommen wird, ist er die Basis unserer verbalen Kommunikation. Dies wird seit einigen Jahren auch differenziert in Studien belegt und erforscht (z. B. Dehghani, 2020).


Um wieder zu der eingangs gestellten Frage zurück zu kommen: Ja, überall auf der Welt ist Embodied Communication (EC) ein relevantes Thema. Geht es doch überall um gelungene Kommunikation, was auch immer die Umstände sind, sowohl im Berufs-, als auch im Privatleben.

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