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Angela Büche

Eine weise Frau im fernen Orient und ihr Geheimnis vom glücklichen Leben

Wie unpassend fühle ich mich jedes Jahr, wenn ich beginne, die Geschichte von der weisen alten Frau im fernen Orient zu erzählen. Jedes Jahr im Wintersemester gebe ich für die Studierenden an der Wirtschaftsuniversität Wien ein Stress- und Selbstmanagement-Training. Für den zweiten Termin plane ich diese Lehrgeschichte.


Kennst du die WU? Es sind hochmoderne Universitätsgebäude. Von den vielen Orten, an denen ich jedes Jahr Workshops gebe, ist dies mit Abstand der modernste mit der modernsten Technik. Man merkt deutlich, dass es im Hintergrund große finanzkräftige Unternehmen gibt, die die Universität mitfinanzieren.



Bringe ich heute den Mut auf, hier in diesem "Tempel der modernen Wissenschaft" eine Geschichte von der weisen alten Frau zu erzählen?



Ich baue am Boden mit meinem mitgebrachten schwarzen Büro-Koffer und einem türkisen Halstuch einen kleinen Tisch. Darauf stelle ich eine Tasse gefüllt mit Kichererbsen. Dahinter steht ein Stuhl, über ihm hängt ein schwarzer Mantel mit zwei Mantel-Taschen.


Ja, ich bringe heute den Mut auf, weil ich die letzten Jahre das Feedback bekommen habe, wie berührend und hilfreich diese Geschichte ist.


Die Studierenden schauen mich mit neugierigen Augen an. Ich frage sie, ob sie eine Geschichte hören möchten. Sie nicken etwas ungläubig. Auf meine Frage hin, ob sie hier an der Universität schon mal eine Geschichte gehört hätten, verneinen sie.


Es wird ganz still im Vorlesungssaal.


 

„Es war im fernen Orient in einem kleinen Dorf, da lebte eine weise alte Frau. Ihr Leben war genauso wie das Leben der anderen Menschen in dieser Gegend. Sie hatte so wie alle hier Hunger, Not, Krankheit und Tod ihrer Liebsten erlebt. Aber auch viel Schönes. Sie sah ihre Kinder und Enkelkinder groß werden, durfte Freundschaften erleben und täglich zusehen, wie die aufgehende Sonne den Himmel in farbig-warmes Licht taucht. Und doch schien etwas an ihrem Leben anders zu sein: Sie war immer auffallend glücklich und zufrieden.


Eines Tages sitzen ein paar junge Männer zusammen und reden über dies und jenes und wie sie ihr Leben gestalten möchten. Einer sagt: „Ich möchte gern ein so glückliches Leben führen, wie die weise alte Frau im Dorf am linken Flussufer. Sie muss irgendein Geheimnis haben, weshalb sie so glücklich ist. Denn ihre Lebensumstände sind gerade so beschwerlich, wie die der anderen Dorfbewohner. Und jene scheinen überhaupt nicht glücklich und zufrieden zu sein.“

Da sagt ein anderer: „Gehen wir doch zu dieser Frau. Vielleicht verrät sie uns ihr Geheimnis? Dann können wir auch so glücklich und zufrieden werden wie sie!“

Die jungen Männer machen sich sogleich auf den Weg zum Dorf am linken Flussufer.

Sie finden die weise alte Frau auf einer alten Bank vor ihre Hütte sitzend.

„Oh weise Frau, sag uns doch, was ist dein Geheimnis, dass du so glücklich und zufrieden sein kannst, obwohl dein Leben genau so karg und schwer ist wie das Leben der anderen Bewohner hier?“



Ich ziehe den schwarzen Mantel an, und setze mich auf den Stuhl vor die Kichererbsen.

„Das will ich euch gern verraten. Wenn ich in der Früh kurz vor Sonnenaufgang erwache, dann nehme ich eine Handvoll Kichererbsen und fülle sie in meine rechte Manteltasche. Dann stehe ich auf und öffne die Türe meiner Hütte. Wenn ich sehe, wie schön die Sonne über dem Horizont aufgeht, freut mich das so, dass ich eine Kichererbse aus meiner rechten Manteltasche nehme und sie in meine linke Manteltasche lege. Dann nehme ich meinen Wasserkrug und gehe zum Brunnen. Wenn mir dort eine junge Frau dabei hilft, den schweren Wasserkrug wieder aus dem Brunnen zu ziehen, dann freut mich das so, dass ich wieder eine Kichererbse aus der rechten Manteltasche nehme und sie in die linke Tasche lege. Wenn ich zu meiner Hütte zurückkomme, wartet oft schon mein Nachbar auf mich und wir reden miteinander über dies und jenes. Im Tratsch mit meinem Nachbarn schwingt immer Humor und tiefes Vertrauen mit. Das freut mich so, dass ich wieder eine Kichererbse von der rechten in die linke Manteltasche wandern lasse. Wenn ich dann im Hühnerstall sehe, dass mein Huhn wieder ein Ei gelegt hat, wandert erneut eine Kichererbse von rechts nach links. Und so geht das den ganzen Tag. Immer wenn mich etwas freut und ich etwas Schönes erlebe, wechselt wieder eine Kichererbse die Manteltasche.


Und abends nach Sonnenuntergang, bevor ich mich auf mein Lager zum Schlafen niederlege, setze ich mich vor mein Tischchen mit der Kichererbsen-Tasse. Ich nehme eine nach der anderen aus der linken Manteltasche und überlege mir, für welche Situation ich diese Kichererbse von der rechten in die linke Manteltasche gelegt habe: Das war der Sonnenaufgang, das ist die junge Frau, die mir am Brunnen geholfen hat den schweren Wasserkrug zu heben, das der Tratsch mit dem Nachbarn, das das Ei … und so schläft jeden Abend eine glückliche und zufriedene Frau ein.“

 

Und das ist die Geschichte von der weisen Frau im fernen Orient. Langsam erwachen die Studierenden aus dem Zauber der Geschichte. Alle bekommen ein Starterset an Kichererbsen.


Wir arbeiten weiter und beleuchten die Geschichte aus Sicht der Neurobiologie, was diese Aufmerksamkeitstechnik für eine Auswirkung auf die Gestaltung des Lebens und des Wohlbefindens hat, und wie das jeder individuell für sein Thema nutzen kann.



Wie sammelst du all die vielen Momente im Alltag, die dir Freude bereiten?



Quelle: Die Geschichte ist frei nacherzählt. Sie ist als Lehrgeschichte Teil des Trainingskonzepts im Zürcher Ressourcenmodells ZRM®.


Herzlich

Angela Büche



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